1946. Im kriegsversehrten München beginnt die unerwartete Karriere eines jungen Chemikers: Dr. Christian Rosenthal. Aus einer strauchelnden Chemiefabrik formt er mit der Produktion von Metallseifen und Kunststoff-Stabilisatoren die Fundamente für Baerlocher, wie wir es heute kennen.
Als der Zweite Weltkrieg endet, ist Dr. Christian Rosenthal knapp 25 Jahre alt. Dank seiner Englischkenntnisse dolmetscht er für die US-Militärpolizei. Das schafft Kontakte. Anfang Februar 1946 wird er Treuhänder der „Chemischen Werke Otto Bärlocher“. Eigentlich ist es ein Provisorium. Doch er bleibt und schafft experimentierfreudig die Grundlage für die Gegenwart. Früh sieht er den beginnenden Kunststoffboom als große Chance – und greift zu. Heute wissen wir: es ist ein perfect match.
Erste Schritte
Eigentlich will Rosenthal Rechtsanwalt werden. Im NS-Regime als „Halbjude“ gebrandmarkt, beendet er stattdessen dank Unterstützung seines Doktorvaters die Promotion in Chemie. 1944 erlebt er Unterernährung und Ausbeutung in einem Arbeitslager. Seine Willenskraft rauben ihm diese traumatischen Erfahrungen nicht. Die Fabrik, die er 1946 in München vorfindet, ist in keinem guten Zustand. Ausgestattet mit einem feinen Gespür für die Bedarfe der Nachkriegszeit zieht er alle Register. Etwa mit dem Waschmittel „Bärlo-FLOK“. Waschmittel sind damals ein gefragtes Gut. Auch mit dem Reinigungsmittel „Tel“ gelingen Achtungserfolge. Rosenthal steht auch selbst im Labor und meldet zahlreiche Patente an. Aus Rentabilitätsgründen entscheidet er sich Anfang der 1950er für den Ausbau der Metallseifenproduktion für Industriekunden. Die macht bald zwei Drittel der Umsätze aus. Damit gehört er in Europa zu den Pionieren. Zugleich ist das Unternehmen auch Großhändler für Chemikalien aller Art, stellt technische Säuren und Ammoniak her.
Durchbruch und Wendepunkte
Christian Rosenthal will etwas Neues schaffen und lässt sich dafür umfassend inspirieren. Wahrscheinlich durch Berichte aus US-Zeitschriften über Kunststoffe kommt er auf eine zündende Idee und beginnt mit der Lizenzproduktion von Einzel- und Grundstabilisatoren. Denn für bestimmte Produkteigenschaften benötigen Hersteller Prozess- und Funktionsadditive, für PVC z.B. Metallstearate. Eine große Anwendungstechnik ist fortan für die Bedürfnisse der Kunden zuständig. Ab 1963 bietet er Additiv-Fertigmischungen an: Master-Compounds. Ein wegweisender Erfolg für Baerlocher.
Rosenthal hat nicht nur einen Instinkt für Rentabilität und Innovation. Er übernimmt bis 1962 auch sukzessive die Mehrheit der Anteile an den „Chemischen Werken“. Die restlichen Anteile gehören bald vollständig der Degussa. Sie will komplett übernehmen, doch Rosenthal gibt nicht nach. Dennoch arbeitet man eng zusammen und gründet 1973 ein erstes Joint Venture in Brasilien. Es ist die erste Baerlocher-Produktionsstätte außerhalb Europas, denn Rosenthal setzt bereits seit den 1950ern Kurs auf ausländische Märkte. Ab den 1970ern geschieht das auch über das Lizenzgeschäft. Noch ist das Produktportfolio breit gestreut, zu breit. Zwei große Sparten kristallisieren sich bereits heraus: Metallseifen und Stabilisatoren. Sie dominieren Umsatz und Tagesgeschäft – und bilden bis heute zwei zentrale Geschäftsbereiche.
Erbe eines Unikats
Als Unternehmer und Mensch liebt Dr. Christian Rosenthal den großen Auftritt, schnelle Autos, Skilanglauf, das Meer. Genauso pointierte Formulierungen. Er arbeitet hart und ständig. Er hat den Charme eines Schauspielers, die Aura eines Großwildjägers. Seine Trophäen: Produkte. Sein großmännischer, teils unverblümter Stil führt aber auch zu Spannungen. Erst recht, als Initiativen in München Anfang der 1970er beginnen, gegen die Verarbeitung von Schwermetallen zu protestieren. Rosenthal geht auf die Suche nach einem neuen Produktionsstandort. Immer wieder gibt es Widerstände, auf die er zum Teil harsch reagiert. Eine linksextreme Vereinigung habe ihm sogar mit Entführung gedroht, wie er damals dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtet. Als mit Lingen in Norddeutschland schließlich ein Standort gefunden ist, hat er einen weiteren Triumph vor Augen: Rosenthal lässt dort eines der modernsten Stabilisatorenwerke seiner Zeit errichten, das gesetzliche Grenzwerte um ein Vielfaches unterschreiten soll. Gleichzeitig schafft er damit die Grundlage für die nächste Generation, als er Ende der 1970er Jahre seinen Sohn Michael ins Unternehmen holt.
Lange arbeiten sie nicht Seite an Seite. Überraschend stirbt Christian Rosenthal am 20. Oktober 1980 und der „Bärlocher Report“ meldet erschüttert: „Der Chef ist tot!“. Sein Verdienst könnte nicht größer sein. In 35 Jahren hat er aus einer darbenden Chemiefabrik einen Marktführer im Metallseifen- und Kunststoffadditiv-Geschäft gemacht, die Marke „Bärlocher“ aufgebaut und den Schritt ins Ausland gewagt. Sein plötzliches Fehlen verunsichert, doch das von ihm gegossene Fundament steht bis heute. Darauf baut Dr. Michael Rosenthal auf, als er 1980 das Ruder übernimmt.